Narrativer Spieleinstieg

Vorweg: In dem investigativ-interaktiven Spiel Globale Alternative geht es zuvorderst darum, auf der Grundlage von 12 Spielregeln ein funktionierendes alternatives Gesellschafts- und Wirtschaftssystem zu entwickeln. Die Probleme, die es in dem Spiel zu lösen gilt, sind also die einer virtuell-fiktiven, aber gleichzeitig real möglichen Welt. Wir nennen sie einstweilen schlicht ‚Neue Welt‘ im Gegensatz zur ‚Alten Welt‘ oder der ‚Realen Gegenwart‘.

Dieses Narrativ ist lediglich ein erster Versuch der Veranschaulichung … – soll heißen: so in etwa könnte das Drehbuch zur Einführung ins Spiel aussehen! Gleichzeitig möchte es die Idee von Global Alternative verständlicher und die darin vorgestellte Neue Welt leichter vorstellbar machen.

In Teil I wird ausgeführt, wie es zum Wandel bzw. Systemwechsel kommt. In Teil II tauchen wir mit den Protagonisten Jonah, Toni, Liz und Micha ein in die Neue Welt, wie sie sich nach dem bereits vollzogenen Systemwechsel im Sommer 2028 den Mitspielern darstellen könnte.

Bei alledem mag von besonderem Reiz sein, dass die hier antizipierte Neue Welt nicht in einer weit entfernten Zukunft oder gar auf einem anderen Planeten liegt oder überhaupt völlig fiktiv ist, sondern ganz realistisch unsere gegenwärtige Welt abgelöst hat.

Bei einigen der im Narrativ genannten Zahlen – etwa zu Reduzierungen im Verkehrsaufkommen oder der Dekarbonisierung – handelt es sich um Schätzungen. Sie sind mit einem Sternchen gekennzeichnet. Erst eine Simulation, wie sie mittels des Plansspiels angestrebt wird, würde relativ genaue Berechnungen zu den Veränderungen ermöglichen.

Narrativ – Teil I

Wir schreiben das Jahr 2028.

Die Klimaerwärmung und die mit ihr einhergehenden Wetterturbulenzen setzen allem Leben auf der Erde bereits stark zu. Wie in einem dynamischen Wirbel verknüpfen sich die Effekte des Raubbaus an den natürlichen Ressourcen der Erde mit denen der Verbrennung von fossilen Energieträgern und lassen erstmals erahnen, dass jene Stabilität der Naturverhältnisse, wie sie sich den Menschen über ihre gesamte zivilisatorische Entwicklungsgeschichte hinweg präsentiert und diese überhaupt erst erlaubt hatte, womöglich endgültig verloren ist.

Alle Maßnahmen, die von den Staaten gegen den Ausstoß von Treibhausgasen und zugunsten alternativer Energieformen eingeleitet wurden, erweisen sich nun als ineffektiv, kurzsichtig oder sogar kontraproduktiv. Wachstum gibt es in keinem der Volkswirtschaften mehr, dafür umso üppiger auf dem Markt der Probleme und Katastrophen. Verheerende Trockenperioden und Ernteausfälle lassen die Flüchtlingsströme täglich und in einem Maß anschwellen, das bereits zu drastischen Maßnahmen v.a. der wohlhabenderen Nationen geführt hat und zu erbitterten Auseinandersetzungen zwischen den übrigen. Wirtschafts- und Finanzkrisen beuteln die Nationen, Bürgerkriege und Kriege toben nun auch in Ländern, in denen dies noch wenige Jahre zuvor unvorstellbar erschien. Die Rettung der Korallenriffe gilt als verloren, es droht der unmittelbare Zusammenbrauch von Meeresökosystemen und damit eine der wichtigsten Nahrungsquellen der Menschheit. Die Ostsee ist bereits kollabiert. Überdies besteht kein Zweifel mehr daran, dass das abrupte Auftauen der Permafrostböden, das noch einmal eine gigantische Freisetzung von Treibhausgasen bedeuten wird, unmittelbar bevorsteht.

Wurden zuvor Kriege um fossile Energieträger und entsprechende geopolitische Machtpositionen betrieben, so geht es nun verstärkt auch wieder um Nahrungsmittelressourcen und vor allem um Wasser.

In gewisser Weise lässt die Steinzeit grüßen.

Gar nicht steinzeitlich ist indessen der Einsatz von Cyberwaffen und vor allem der weiterhin drohende von Nuklearwaffen. Ist die Menschheit im Zuge des sogenannten Ukraine-Krieges noch einmal knapp dem Einsatz von Nuklearwaffen und einem drohenden nuklearen Winter entgangen, so hat das Wettrüsten danach bizarre Ausmaße angenommen und damit die dringend erforderlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Klima- und Naturschäden noch einmal gewaltig zurückgeworfen.

Es wird klar, dass eine sofortige und umfassende Dekarbonisierung die Voraussetzung für das Fortbestehen der Menschheit ist. Die Zahl derer, die dies und mehr auf der Straße einfordern, übersteigt bereits die 800 Millionen. 

Das ist eine neue Dimension, sowohl zahlenmäßig als auch dem Inhalt der Forderungen nach. Ohne Wenn und Aber richtet sich die Kritik gegen das weltweit agierende Wirtschaftssystem und den blinden oder auch geheuchelten Fortschrittsglauben seiner Vertreter. Die Versprechen der Industrieländer, mittels marktwirtschaftlicher Mechanismen die Probleme lösen zu können, werden als zynisch-verantwortungslose Augenwischerei angeprangert.

Schließlich kommt es zu einer koordiniert-globalen Streikwelle, die die Wirtschaften aller Nationen abrupt in die Knie zwingt.

2028 erweist sich also als das Jahr, in dem sich endgültig und drastisch das Ende jener Welt abzuzeichnen beginnt, die einst ewigen Wachstum, Wohlstand und Freiheit versprach. Ein Gipfeltreffen in Sidney, Australien – eine der vielen küstennahen Großstädte, die bereits vom steigenden Meeresspiegel akut bedroht sind –, zu dem im August 2028 Wissenschaftler aus der ganzen Welt die Repräsentanten aller Nationen geladen haben, gerät zu einer dreimonatigen Krisensitzung. Während die Menschen auf der nördlichen Halbkugel unter einem extrem heißen Sommer mit zahlreichen Todesopfern leiden, in Kanada, den USA, Russland, China und einigen europäischen Ländern gigantische Waldbrände wüten und ein Taifun Taiwan verwüstet hat, ringen sich die Beteiligten in einem geradezu heroisch-verzweifelten Akt zu der Einsicht durch, dass einzig der Übergang in eine eigentums- und herrschaftsfreie globale Gesellschaft jene öko-ökonomische Wende einläuten kann, die das Schlimmste noch zu verhindern vermag (Verdikt von Sidney im Oktober 2028).

Erstmals seit der industriellen Revolution soll nun die Produktion von Gütern, Technik und Wissen nicht mehr profitorientiert generiert und genutzt werden, sondern allein der Versorgung aller dienen. Hat die Industrialisierung einst die Produktionsverhältnisse revolutioniert und die Marktwirtschaft geschaffen, so soll nun die Kommunikations- und Computertechnik die nächste Revolution hin zur Organisation einer gemeinwohlorientierten Gesellschaft einläuten.

Unterstützt werden die Pläne durch eine investigative Simulation, in der nachgewiesen wurde, dass mittels einer neuartigen Ökonomie die Eindämmung des Klimawandels, die Regenerierung der Natur und die weltweite Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse auf einem dezenten Wohlstandslevel durchaus möglich sind. Nachgewiesen wurde damit auch, dass die von der Volkswirtschaft stets ins Feld geführte Unverzichtbarkeit des Geldes als Regulativ von Angebot und Nachfrage hinfällig ist. Grund: Mittels der Möglichkeiten der IT lässt sich das Wirtschaften völlig neu und so organisieren, dass weltweit eine vernünftige und auf den Bedarf abgestimmte Produktion realisierbar wird. Projekte von globalem Interesse können nun koordiniert und effizient durchgeführt werden, da dem weder nationale noch Konzerninteressen, weder Monopole noch Patente mehr entgegenstehen. Darunter fallen Anbaumethoden, Wasserschutz und -nutzung, Wiederaufforstung, Rückgewinnung von sowohl natürlichen Lebensräumen als auch von landwirtschaftlich nutzbaren Böden, der Umgang mit fossilen Energiequellen und Rohstoffen und auch der Aufbau eines nachhaltig betriebenen Verkehrs- und Telekommunikationsnetzes.

Laut den von der Simulation ermöglichten Berechnungen wäre eine solche Neuorganisation  relativ einfach umzusetzen. Überdies könne davon ausgegangen werden, dass sie nicht nur zur dringend erforderlichen drastischen Senkung aller Treibhausgase und, darüber hinaus, zur Schonung von Natur, Ressourcen sowie menschlicher Arbeitskraft und -zeit führen werde, sondern auch insgesamt die Lebensqualität steigere.

Im Verdikt von Sidney werden 12 Regeln festgeschrieben, die grundlegend und zugleich richtungsweisend für den angestrebten Wandel sind:

  • Es gibt kein Geld und kein allgemeingültiges Zahlungsäquivalent 
  • Es gibt Besitz, aber kein Eigentum – auch nicht an geistigen Produkten
  • Es gibt keinerlei politische Strukturen (Staaten, Regierungen, Amtsträger, Gremien etc.), keine  Führungsstrukturen und keine Hierarchien
  • Die Menschen organisieren sich in Allmenden, die wiederum Provinzen, Regionen, Erdteilen und  Kontinenten zugehören; die Zuordnung ist zuvorderst von nominaler Bedeutung
  • Alle wo auch immer geförderten Rohstoffe, hergestellten Produkte und Dienstleistungen werden in einem globalen Poolregister erfasst und können bei Bedarf (und nach logistisch-umweltverträglichen Maßstäben) abgerufen werden
  • Jede Allmende ist bemüht, einen oder mehrere Beiträge zum globalen Pool zu erbringen; es besteht indessen kein Zwang hierzu
  • Die Produktion von Gütern, Informationen, Wissen und Dienstleistungen sowie die   Förderung von Rohstoffen, die in der Regel nur arbeitsteilig zu bewältigen ist, erfolgt in  Projekten, in Absprache mit anderen Projekten und gemäß der Bedarfsanalyse 
  • Alle benötigten Güter und Dienstleistungen sowie technischen und wissenschaftlichen Kenntnisse werden im Pool erfasst
  • Regionale und kulturelle Eigenheiten wie Sprachen, Traditionen, Fertigungstechniken, Religionen etc. werden als wichtige und geschätzte Beiträge zur menschlichen Gesellschaft erachtet               

 Hier einige wenige Auszüge aus dem umfänglichen Verdikt: 

Da jedem Menschen einsichtig werden muss, dass er die Natur und die Dinge, die sich mittels ihrer herstellen lassen, für die Dauer seines Lebens nur borgt, wird das Prinzip des Eigentums abgeschafft.

Besitz im Sinne der Nutznießung der im Alltag benötigten und für den Erhalt der Gesundheit, der Privatsphäre und der geistigen Interessen wichtigen materiellen Güter wird indessen als Grundvoraussetzung für die gedeihliche Entwicklung jedes Einzelnen betrachtet. Das Ziel und das natürliche Interesse jeder Allmende-Gemeinschaft sollte es daher sein, diese Besitztümer zu garantieren.

Der Erhalt der Lebensvoraussetzungen auf dem Planeten hat höchste Priorität und ist das selbstverständliche Ziel jeder Allmende. Dies bedeutet

–   den bewussten und bedachten Umgang mit den Ressourcen, gestützt von wissenschaftlichen Analysen und Berechnungen

–   den Erhalt oder die Wiederherstellung von natürlichen Lebensräumen und ökointelligent bewirtschafteten Anbaugebieten   

–   die Wiederbelebung der psychischen, sozialen und kognitiven Qualitäten des auf Gemeinschaft, Kooperation und produktiven Austausch beruhenden Umgangs miteinander    

Mit der Abschaffung der marktwirtschaftlichen Produktion, in der Verschleiß und Verschwendung Grundlage der Profitmaximierung waren, erhalten der praktische Nutzen der Dinge – ihr Gebrauchswert – sowie deren Langlebigkeit und Funktionalität wieder den ihr gebührenden Status.

Der Übergang aus dem kapitalistischen System in die neue ‚Weltordnung‘ erfordert zunächst nur einige wenige Vorgaben, die einzuhalten sind. Doch trotz zahlreicher Studien und Hochrechnungen ist schwerlich absehbar, wie genau sich die Umstrukturierung vollziehen wird und mit welchen Schwierigkeiten zu rechnen ist.

Behutsamkeit ist das Motto innerhalb der Radikalität des Wandels.

Zu Beginn des Umbaus hat die Bildung von Metaprojekten, welche die Strom- und Netzverbindung aufrechterhalten und dafür sorgen, dass die globale Kommunikation funktioniert, höchste Priorität.

Zur Organisation der Produktion, Distribution und der Aufrechterhaltung der Infrastruktur werden innerhalb der Allmenden Lokale Projekte (= selbstorganisierte, hierarchiefreie Gruppen mit einer maximalen Größe von 300 Menschen) gebildet. Ihre Aufgabe ist es, die Gegebenheiten vor Ort – wozu sowohl die geographisch-klimatischen gehören als auch bisherige Produktionsstätten und -verfahren – zu nutzen, um Beiträge zum Pool zu leisten. Der Umbau zu einer ökologisch-nachhaltigen Produktionsweise ist dabei im Interesse jedes Lokalen Projekts und jeder Allmende. 

Es gehört zu den Aufgaben einer Allmende, entsprechend den örtlichen Gegebenheiten Lokale Projekte zu gründen.

Alle Produkte – wozu auch Dienstleistungen, Erfindungen, Forschungsergebnisse und Kulturgüter zählen – werden als Beiträge dem globalen Pool zugeführt.

Jede Allmende sorgt über ihre Lokalen Projekte dafür, Beiträge zum Pool zu leisten. Außerdem muss sie für den Erhalt oder Ausbau der eigenen Infrastruktur Sorge tragen. In gebietsübergreifenden Metaprojekten schließen sich wiederum Menschen zusammen, die z.B. das Transport- und Kommunikationswesen aufrechterhalten, wissenschaftliche Projekte, Analysen und globale Studien durchführen, etc.

Prinzipiell hat JEDE Allmende Zugriff auf den globalen Pool, auch dann, wenn es ihr nicht gelingen sollte, eigene Beiträge zu leisten. Es wird davon ausgegangen, dass Beitragslosigkeit stets ernsthafte Gründe hat – wie etwa Naturkatastrophen – und Deprivation einer Lösung der lokalen Probleme lediglich entgegensteht.

Anzustreben ist der volle Zugang zu Bildung, Kulturgütern und technischen Entwicklungen in jeder Allmende.

Der konsequente Zugang zu Bildung und ‚Weltwissen‘ lässt erwarten, dass die Populationen zahlenmäßig stabil bleiben und ein großes Interesse daran herrscht, eine einmal erreichte Homöostase mit der Natur und innerhalb der Gesellschaften zu erhalten.

So einige wenige Auszüge aus dem umfangreichen Verdikt. Was es an dieser Stelle noch zu erwähnen gilt, ist die Tatsache, dass der Große Wandel – soll heißen: die globale Umstrukturierung der Wirtschaft und damit des menschlichen Miteinanders – mit maximalem Unbehagen eingeleitet wird. Wie sollte es auch anders sein, ist doch letztlich nicht absehbar, wie sich die Dinge weiterentwickeln. Was wird geschehen, wenn keine der Jahrhunderte alten Spielregeln mehr gelten, Herrschaftsstrukturen wegfallen, ja nicht mal mehr das Konkurrieren der Nationen existiert? Ist nicht schlicht ein heilloses Chaos zu erwarten?

Teil II:

Globale Alternative 

Wir sind nun wieder im Jahr 2022, und Liz und Jonah möchten mitmachen. Ein Spiel, in dem es um die Lösung der heillosen Probleme auf dem Planeten geht …?,  um die Gestaltung einer neuartigen Gesellschaft … ? – ja, das reizt beide.

Sie gehen ins Menü. Als erstes rufen sie das Tutorial ‚Einstieg‘ auf. Hier werden ihnen die beiden Ebenen vorgestellt, auf denen man am Spiel teilnehmen kann. Die erste Ebene ist die der Allmenden. Es erscheint eine Weltkarte, auf der die bereits existierenden Allmenden angezeigt werden. Tippt man eine an, erhält man auf einer Infotafel eine übersichtliche Menge wichtiger Informationen über sie: Zahl der Mitglieder, existierende Projekte, geplante Projekte, geographische Lage, Infrastruktur, Klima, Naturbesonderheiten etc. – und entscheidet sich dann eventuell für eine. Es gibt allerdings auch die Möglichkeit, ein Profil von sich zu erstellen (was kann ich, was will ich, was ist mir wichtig) und Vorschläge für Allmenden zu erhalten, die dem Profil am besten entsprechen.

Die zweite Ebene ist die der Metaprojekte. Metaprojekte befassen sich mit transregionalen und globalen Aufgaben, zum Beispiel der Aufrechterhaltung des Kommunikationsnetzes, der Organisation des Transportwesens oder der Koordinierung der weltweiten Ressourcenbestände. In wissenschaftlichen Metaprojekten werden beispielsweise relevante biogeologische und meteorologische Daten erhoben und entsprechende ökologisch angemessene Nutzungs- und Anwendungsmodelle ausgearbeitet, und zwar im Austausch mit den jeweiligen lokalen Allmenden, was besonders wichtig ist für Landwirtschaft und Wasserversorgung. In Metaprojekten beschäftigt man sich aber auch mit so etwas wie der Bewältigung von Konflikten zwischen den Allmenden, Allmende-Mitgliedern oder auch Projektmitgliedern und dem gemeinsamen Ausarbeiten von Lösungsmodellen. Undundund …

Jonah und Liz haben sich inzwischen für die erste Ebene entschieden. Schwieriger wird es bei der Suche nach einer Allmende. Jonah würde gerne einer in Übersee beitreten, Liz meint, vertrauteres Terrain erleichtere vielleicht den Einstieg. Und überzeugt Jonah. So wählen sie also zuerst einmal ‚Europa‘ (siehe 4. Spielregel), tippen dort verschiedene Allmenden an, lesen die Infotafeln zu ihnen und entscheiden sich schließlich für die Allmende ‚Bonjour‘ in einer mittelgroßen Stadt. Sollte es ihnen dort nicht gefallen, können sie selbstverständlich auch in eine andere wechseln. Wäre das der Fall, würde Jonah zum Zuge kommen und sie würden Südamerika suchen, das weiß er schon.

Liz tippt auf ‚Bonjour‘ und es erscheint ein Bild von der Stadt aus der Vogelperspektive mit der Aufforderung, sich ein kurzes Tutorial anzuhören. In ihm werden ihm die Spielregeln vorgestellt und kurz erläutert. Es wird ihm vorgeschlagen, sich in der Allmende anzumelden und zu fragen, ob ein Guide zur Verfügung steht (wenn gerade nicht, können sie einen Termin vereinbaren und müssen sich dann eventuell noch ein wenig gedulden). Allmende-Guides sind stets Mitglieder der jeweiligen Allmende, die gerne ihr Wissen weitergeben und auch auf dem neusten Stand der Dinge sind.

Freilich könnten sie die Allmende auch auf eigene Faust erkunden. Das wäre anstrengender und weniger ergiebig, doch fielen dann eventuelle Wartezeiten weg.

Und wie das in einer Story so ist: Liz und Jonah haben Glück! Gleich zwei Allmende-Mitglieder melden sich. Wohlgemut gehen sie auf ‚Mein persönlicher Start‘.

Und befinden sich abrupt auf einem Platz, der von 3-4-stöckigen Gebäuden gesäumt wird und an dem eine Straße vorbeiführt. Sie sehen sich um. Offenbar ist es Frühherbst – genau wie dort, wo Jonahs PC steht …

Empfangen werden sie von Toni und Micha.

Micha: Hi Liz, hi Jonah. Herzlich willkommen in der Neuen Welt! Genauer gesagt: In Bonjour und unserer Stadtteil-Allmende! Was möchtet ihr als erstes tun? Sollen wir euch unseren Stadtteil zeigen und euch gleichzeitig etwas über die Community erzählen?

Liz: Hallo Toni, hallo Micha! Ja klar, gerne. Wir wissen zwar schon so einiges von der Infotafel zu Bonjour, freuen uns aber mächtig, dass ihr Zeit habt, uns rumzuführen.

Micha lächelt. Prima. Sie breitet die Arme aus und weist auf alles um sich herum. Vielleicht wollt ihr euch gleich hier mal umgucken? Wir sind auf einem der vielen kleinen Plätze, die die Stadt jetzt hat.

Jonah und Liz drehen sich einmal um sich selbst. Der Platz selbst ist nicht besonders groß – es ist einer, wie er in den kleineren Städten ihrer Herkunft häufig vorkommt. Hinter den Häusern, die den Platz teilweise umgeben, lugen die Spitzen zweier Kirchtürme heraus, die mit einigen wenigen höheren Gebäude um Aufmerksamkeit konkurrieren. Nach einer Seite hin sind einige bebaute Hügel zu erkennen, im Hintergrund ein Funkturm. In der Ferne sind auf einer Art Hochebene mehrere Windräder zu erkennen.

Jonah: Hm, die Kühltürme vom AKW kann man wohl von hier aus nicht sehen?  

Micha und Toni nicken.

Micha: Nein, von hier aus nicht. Interessiert dich das AKW? – soll heißen: das einstige! Ihr wisst vermutlich schon, dass in der Neuen Welt tatsächlich kein einziges Atomkraftwerk mehr betrieben wird? Der Beschluss dazu fiel, nachdem alle mit der Energieversorgung beschäftigten Projekte weltweit ihre Pläne vorgelegt hatten, in denen sowohl die bestehenden Kapazitäten als auch der innerhalb eines Jahres realisierbare Ausbau vor allem der Photovoltaik-, Erdwärme- und Biothermieanlagen enthalten war. Das war schon was! Wir hier hatten mit null Engpässen zu tun, aber es gab Regionen, in denen mehrere Monate lang mit dem Strom stark gehaushaltet werden musste.

Toni: Womit wir es nun natürlich noch massiv zu tun haben ist das strahlende Erbe, das uns das Atomzeitalter hinterlassen hat. Mit dem Rückbau von unserem AKW sind wir gerade in den letzten Monaten ein Stück vorangekommen, aber die zu bewältigende Aufgabe ist noch immer riesig.

Jonah: Aber heißt das, dass die betroffenen Allmenden alleine damit fertigwerden müssen?

Toni: Nein, natürlich nicht. Sowas gibt es nicht mehr … – ich meine, dass man mit Problemen, die letztlich alle betreffen, alleine fertig werden muss. Der AKW-Rückbau und die Verwahrung des Atommülls gehören zur Riege der globalen Herausforderungen, entsprechend wird damit umgegangen. Es gibt also ein Metaprojekt, das dafür zuständig ist, die Informationen bearbeitet und die Arbeiten koordiniert Wir haben also jede Menge Hilfe von Expert*innen, Ingenieur*innen und Wissenschaftler*innen und sogar Freiwilligen aus weit entfernten Allmenden. Das Ziel, eine atomfreie Welt zu schaffen, ist so wichtig und befreit die Menschheit von einer so großen Last, dass das Engagement sehr hoch ist.

Micha: Na, da seid ihr ja gleich bei einem Superthema … – interessierst du dich irgendwie speziell für Atomkraft, Jonah? Und du, Liz, vielleicht auch?

Jonah: Naja, ich bin Mechaniker und hatte schon mal einen Einsatz in einem AKW. Vorher und hinterher hab‘ ich so einiges drüber gelesen. Aber ehrlich gesagt bin ich jetzt erstmal neugierig auf Bonjour – er wendet sich zu Liz um – und du bestimmt auch, oder? Wir können die AKW-Sache als erstmal beiseitelassen. Das Atomproblem ist außerdem ja nur eines von vielen.

Micha: Da hast du recht. Leider.

Toni: Was ist denn so euer erster Eindruck, wenn ihr euch hier umguckt?

Liz: Hm. Einerseits wirkt ja alles irgendwie vertraut … – kein Wunder, wir sind ja sogar im eigenen Land geblieben. Blinzelt. Ach ja, Länder gibt es hier ja keine mehr … – also sagen wir: in der vertrauten Region. Sie lässt den Blick noch einmal über den Platz schweifen. Und doch ist da auch vieles … – anders. 

An den Häusern rundum ist noch das eine oder andere Überbleibsel der einstigen Geschäftswelt auszumachen: Leuchtreklame etwa, die freilich nicht mehr leuchtet, und Schilder mit Namen wie Backwerk‚ Tchibo, Galerie Kaufhof etc. Was sich jetzt in ihnen befindet ist auf den ersten Blick nicht zu erkennen. Eines der Gebäude beherbergt in seiner Außenwand noch einen Bankautomaten, halb überwuchert von Efeu. Überhaupt gibt es eine Menge Pflanzen, was alles aufgelockert wirken lässt. Unter mehreren großen Platanen und einer Zeder stehen Bänke und Tische und andere Sitz- und Liegegelegenheiten Zwei Tischtennisplatten, ein Bouleplatz, ein langer, überdachter Sandkasten und ein paar Turngeräte runden das Bild ab.

Auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes ist ein kleines Areal umzäunt. Jonah deutet darauf. 

Jonah: Was wird denn da gemacht?

Toni: Kabelarbeiten. Die Häuserzeile da drüben hat derzeit keinen Internetzugang. Das ist nicht so dramatisch, weil man sich aushilft, aber der Anspruch ist doch ne hohe Verlässlichkeit. Immerhin ist das ja der Zugang zu allen relevanten Daten, zur Arbeit der Projekte und der Metaprojekte und den weltweit laufenden Diskussionen über die verschiedensten Inhalte. Insgesamt wird das Netz aber offenbar weniger beansprucht als früher.

Liz: Warum? Sag bloß, es gibt keine Spiele mehr!?

Ihre Guides grinsen.

Micha: Das wär ja was! – wir sind hier in nem Zukunftsspiel, in dem es dann keine Spiele mehr gibt?! Also echt …! Schaut zu Toni, zuckt dann aber mit den Schultern. Allerdings waren Computerspiele bisher noch kein Thema! – was konkretes können wir dir daher nicht dazu sagen. Ich würde allerdings stark vermuten, dass es auch in der Neuen Welt Spiele geben wird, vielleicht sogar zuhauf. Wer die Idee zu einem hat, kann schließlich jederzeit ein Projekt gründen und schauen, ob sich genügend andere finden, die mitmachen wollen. Dazu kommt, dass Programmieren zum Standard-Bildungsangebot gehört, das kann hier jeder jederzeit erlernen.

Hier geht‘s jetzt aber erst mal um was ganz anderes. Wir befinden uns im Übergang zu einer neuen Weltgesellschaft, die aufgrund des vorangegangenen Wirtschaftssystems mit einer Reihe von krassen Problemen konfrontiert ist! – um nicht zu sagen: dramatischen Problemen.  Das Wirtschaften insgesamt und speziell der Umgang mit den verbliebenen Ressourcen muss also neu organisiert werden. Gleichzeitig soll das Leben in der Neuen Welt von hoher Daseinsqualität sein. Das ist ne ziemliche Herausforderung.

Toni: Die ersten Ziele, die wir uns nach dem Wandel steckten, waren eine drastische und anhaltende Drosselung des CO2-Ausstoßes und weiterer Treibhausgase, um den Klimawandel zu verlangsamen oder sogar zu stoppen, und ein ebenso drastisches Zurückfahren des Ressourcenverbrauches. Wie ihr vielleicht schon gelesen hast, wurde deshalb die Produktion komplett umgestellt und die Poolökonomie eingeführt, in dem die Arbeitsbeiträge aus der ganzen Welt erfasst werden, ebenso wie die bestehenden Anfragen nach Produkten, Hilfsleistungen, Projekten usw. 

Jonah: Irgendwie kann ich mir das noch nicht so recht vorstellen. Sieht Liz an. Du, Liz? Aber gut, dazu sind wir ja hier: um rauszufinden, wie das funktioniert. Und dann eventuell irgendwie zum Funktionieren des Ganzen beizutragen.

Toni: Ja, und darüber freuen wir uns mächtig. Übrigens ist das immer so mit den Neuen: Zuerst denken sie, eine Ökonomie sei doch etwas Hochkompliziertes …- nur um dann festzustellen, dass es viel einfacher ist als gedacht. Wir alle kommen aus einer Realen Gegenwart, deren Komplexität noch täglich zunimmt. In der hier erprobten Neuen Welt ist dagegen vieles erstaunlich überschaubar. Und das Leben ziemlich entschleunigt.

Liz sieht sich nochmal um: Na, ich bin gespannt.Aber sagt mal: ist es hier eigentlich immer so still? Ist ja geradezu unheimlich.

Micha lacht: Ihr seid genau um die Mittagszeit angekommen, da essen die meisten, und weil heute mal ein etwas kühlerer Tag ist, tun sie das drinnen. Das wird sich gleich …

Es ist das unverkennbare Bimmeln einer Straßenbahn zu hören, und alle drehen sich um. Eine Bahn nähert sich gemächlich.

Toni: Kommt, lasst uns mal von den Schienen gehen.

Jonah: Heh, super, hier gibt‘s also ne Straßenbahn!

Toni: Ja. Die Tram zu erhalten war einer unserer ersten lokalen Trans-Allmende-Beschlüsse nach dem Großen Wandel. Inzwischen gibt es ein Projekt, das sich um die Verlegung neuer Gleise in den Allmenden kümmert, und ein anderes, das sich einem Metaprojekt angeschlossen hat zum Bau von Triebwagen und Waggons. Aber ansonsten ist hier nicht viel Verkehr, wie ihr feststellen werdet. Also auch nach der Essenszeit nicht.

Liz: Die meisten sind jetzt also zuhause?

Toni: Zuhause? – nein, da essen nur noch die wenigsten. Es gibt hier überall Gemeinschaftsküchen. Aber wer will, kann sich natürlich auch zuhause sein Essen zubereiten. Das Essen in der Taberna spart allerdings ne Menge Energie.

Liz: Aha, so ist das also. Ich koch eh nicht gerne (lächelt Jonah an) und lasse mich gerne versorgen. Aber wegen der Waggons … – ich hab‘ ja gelesen, was ein Metaprojekt ist. Welchen Beitrag leistet denn eure Allmende zur Herstellung der Waggons? Wie funktioniert das?

Micha: Zwei aus unserer Allmende sind als Ingenieure bei der Produktsicherung. Darüber hinaus nutzen wir eine Anlage bei uns, um die Fenster für die Waggons herzustellen.

Jonah: Aha. Gibt es denn sowas wie ein Hauptwerk?

Micha: Klar, irgendwo muss ja alles zusammengebaut werden. Es liegt in einer knapp 100 km entfernten Stadt. Weil unsere Allmende über die Fensterherstellung und wegen der Expertise zweier unserer Leute eng zusammenarbeiten, fährt alle drei Tage ein Transporter dorthin.

Liz: Hm. Wäre es nicht sinnvoller, sie würden gleich dort wohnen? Lacht. Ihr seht, ich versuche ökologisch zu denken!

Micha: Naja, die fertigen Fenster werden ja ohnehin dorthin transportiert. In diesem Fall stimmt also die Ökobilanz. Außerdem fahren derzeit auch noch vier Jugendliche aus den hiesigen Allmenden mit, die dort eine Art Ausbildung machen und sich gerne Spezialwissen aneignen wollen.

Jonah: Ausbildung … – äh, läuft das dann genauso ab wie bei uns? Ich meine, wie in der Realen Gegenwart?

Toni: Oh je, nein! Mit der Zwangsveranstaltung in unserer Realen Gegenwart hat das hier echt nicht mehr viel zu tun. Wenn du willst, können wir nachher einfach mal in unsere Commonsschool gehen. Das ist eine Schule für alle, sozusagen. Du kannst dir dann, wenn dich das interessiert, einen Eindruck davon verschaffen, was bisher so an Ideen für neue Unterrichtsformen zusammengekommen ist und wie die umgesetzt werden.

Liz: Ideen sind ja schön und gut. Aber wie lässt sich in einer Simulation nachweisen, dass sie funktionieren?

Micha: Genau, das ist in der Tat ein Problem. Vieles ist zwar gut zu simulieren, aber Schule gehört zu den Bereichen, wo’s schwierig wird. Interessanterweise ist es jetzt aber so, dass die hier diskutierten Ideen in der Realen Gegenwart erprobt werden … – ist das nicht super? So kriegt die Neue Welt Feedback aus der Realen Gegenwart nicht nur in Form von Daten und Berechnungen, sondern auch von bereits probeweise realisierten Projekten … 

Liz: Prima. Und die Reale Gegenwart kriegt Ideen aus der Neuen Welt … 

Toni: Und da schält sich jetzt schon heraus: Wow, der Unterschied zu dem, was wir früher hatten, ist gigantisch … Erst dachte ich ja: Schule bleibt Schule! Aber jetzt muss ich zugeben, dass ich hier richtig gerne nochmal Kind wäre. Mal ganz abgesehen von den Freiräumen, die Kinder hier haben … – das Lernen läuft hier komplett anders ab. Hier MUSS niemand was wissen, sondern hier WILL man wissen. Etwas zu erlernen und zu begreifen macht Spaß, und es ist auch eine Lust, das zusammen mit anderen zu tun. Auch kann hier jede*r die Schulbank drücken, gleich welchen Alters, und außerdem gibt es keinen Unterschied mehr zwischen Schule, Uni und Werkstatt. Da kann es also sein, dass nicht nur die Fünfjährige gerade das Lesen erlernt, sondern neben ihr ein Fünfzigjähriger sitzt, der es gerne nachholen möchte. Und da kann es auch sein, dass im Biologieseminar neben dem Siebzehnjährigen ne Siebzigjährige und ne Siebenjährige sitzen. Und es kann sein, dass danach die Siebzigjährige in ner Werkstatt anderen zeigt, wie Nut und Feder funktionieren. Und so weiter.

Jonah: Jetzt mal echt?

Micha: Naja, das, was früher Schule, Lehre und Uni waren, wird hier eben ganz anders organisiert. Grundsätzlich ist es so, dass das gesamte Lehrangebot prinzipiell allen offensteht, unabhängig von Alter und Vorbildung. Für die Organisation ist ein Metaprojekt zuständig, an das man sich übrigens auch als Neuankömmling wenden kann, wenn man Fragen hat.

Jonah: Ist ja interessant. Ich könnte mir jetzt also z.B. Philosophievorlesungen anhören und dabei neben einem Zehnjährigen oder auch ner Hundertjährigen sitzen? Oder Mathe? Und dann könnte ich noch nen Chemiekurs machen, oder nen Nähkurs? Oder Elektrotechnik unterrichten? Cool!

Toni lacht: Ja, genau. Ist doch super, oder? Einiges ist ja noch im Aufbau, aber die Wissensgebiete, die du da eben genannt hast, die sind tatsächlich alle voll am Laufen, inklusive Nähkurs! Ansonsten sind wir dabei, das Angebot noch ständig auszuweiten. Allerdings reichen die Räumlichkeiten schon bald nicht mehr aus, weswegen gerade das ehemalige Finanzamt dafür umgebaut wird. Eine Uni oder Hochschule gab‘s hier in der Stadt nämlich nicht, also auch nicht die entsprechenden Gebäude und ihre Ausstattung. Aber um deine Frage nochmal zu beantworten: im Prinzip kannst du erlernen und studieren, was immer du willst. Zeit dafür hast du ja reichlich.

Liz: Ja, das haben wir schon gelesen – nur 12 Stunden pro Woche. Und es soll ja noch weniger werden! Das ist sowas von irre!

Toni: Ist es auch. Okay, jetzt, anderthalb Jahre nach dem Wandel, kann es schon mal passieren, dass viele auf einmal mit anpacken müssen, um ein Projekt auf die Beine zu stellen, oder auch, weil es mal mit der Organisation hapert. Und da kann es dann auch mal sein, dass die 12 Stunden überschritten werden müssen. Aber das ist eben auch jetzt schon die Ausnahme.

Jonah: Okay, klar, kann ich mir irgendwie vorstellen. Was ich mir weniger vorstellen kann: Wie läuft denn sowas in einem Spiel ab? Ich meine, ich wär‘ zwar überglücklich, in meiner realen Arbeitswelt nur 12 Stunden pro Woche arbeiten zu müssen, aber so ist es eben nicht, weswegen ich auch unmöglich reale 12 Stunden hier ins Spiel investieren kann.

Toni: Gut, dass du die Frage stellst. Arbeits- und Produktionsabläufe werden im Spiel überwiegend nur formalisiert dargestellt. Machen wir das an einem Beispiel fest. Sagen wir mal, du wolltest dich an der Sicherstellung der Stromversorgung in Bonjour beteiligen. Du wirst dann umgehend über den Stand der Dinge informiert: das und das wurde bisher mit soundsoviel Beteiligten erledigt, Folgendes muss noch gemacht werden, mit diesem und jenem Problem haben wir es zu tun … – usw. Das Projekt lädt dich ein, eigene Überlegungen und Vorschläge einzubringen und auch die Anzahl von Stunden zu nennen, die du – im Spiel – bereit wärst, im Projekt zu arbeiten.

Jonah: Und woher weiß man … – ach so, klar: Aus Erfahrungsdaten und mittels Logarithmen wird berechnet, wieviel Arbeitszeit gebraucht wird und was an Materialien nötig ist. Oder?

Toni: Genau. Andererseits wird die eine oder andere Produktionsstätte im Spiel auch dargestellt. Wie etwa unsere Fensterproduktion. Oder Werkstätten, die es hier in der Stadt gibt. Die Spieler können entscheiden, ob so etwas dargestellt wird oder ob ne Produktionsstätte nur in Form von Daten und Arbeitsabläufen aufgeführt wird. Zur Atmosphäre eines Stadtteils gehört aber halt schon, was dort so gemacht wird. Das will man dann auch sehen können.

Ein Lieferwagen fährt vorbei. Liz sieht ihm interessiert nach, weil es sich hörbar um einen Diesel handelt, wird aber abgelenkt von einem Schwall Stimmen, der sich plötzlich hinter ihm auftut. Sie dreht sich um. Erwachsene, Kinder und Jugendliche verlassen gerade eines der Gebäude. Plötzlich ist Leben auf dem Platz. Unter einer der Platanen versammeln ein paar Erwachsene und Jugendliche kleinere Kinder um sich und verschwinden mit ihnen in einem benachbarten Gebäude. Selbst aus der Entfernung ist auszumachen, dass es in ihm bunt zugeht – nicht nur die Fenster sind bemalt, sondern auch die Außenwand.

Liz: Ist das ein Kindergarten? (sie deutet auf das Gebäude)

Toni: Hm, ja, so kann man es schon nennen, wenn der Garten auch nur ein Teil davon ist.

Micha (lacht): Mensch Toni, hast du schon vergessen, dass das ein Begriff aus der Alten Welt ist und mit Garten ziemlich wenig zu tun hatte?

Toni kratzt sich am Kopf

Toni: Ach ja, klar. Ist aber auch ein wirklich schönes Wort: Kinder-Garten. Ich war halt nie in einem, also als Kind, meine ich. Liz, tatsächlich ist das hier ein Angebot für die ganz Kleinen und deren Eltern. Es gibt ein Vormittags- und ein Nachmittagsprogramm, und Eltern und Kinder können sich völlig frei entscheiden, ob sie das Angebot nutzen. Für Eltern, Großeltern und wer immer sonst sich auch noch um die Kinder kümmert ist es natürlich vor allem genau dann richtig, wenn sie den von ihnen gewählten Allmende-Aufgaben nachgehen oder überhaupt: sich mal nicht kümmern wollen! Zumeist aber sind es unsere Jüngsten selbst, die hinwollen.  

Um aber auf Johnas Frage wegen der Hochrechnungen zurückzukommen: Hinter dem Spiel steht ein ganzes Team von Wissenschaftlern, Mathematikern, Programmierern etc., die die Folgen der gemeinsam getroffenen Entscheidungen und die Ergebnisse der Zusammenarbeit der Menschen berechnen. So ist das Spiel immer auf dem neuesten Stand.

Jonah: Aha. Und wie ist das mit den sogenannten Problemen, die es zu lösen gilt?

Micha: Da wird erst einmal recherchiert und mit anderen Projekten korrespondiert, welche bisherigen Lösungsansätze es gibt und ob sich einer davon unter den gegebenen Bedingungen durchführen lässt. Wenn nicht – manchmal tun sich ja auch neue Probleme auf – wird erstmal in einer lokalen Runde zielführend diskutiert und versucht, eine Lösung zu finden. Ist dies nicht möglich, wird die Problemlösungssuche global fortgesetzt.

Jonah: Wie kann denn im Spiel ein reales Problem überhaupt auftauchen? Ich meine, wie soll das denn gehen?

Auf dem Platz herrscht nun ein richtiges Getümmel, eine Gruppe Kinder und Jugendlicher läuft vorbei und Jonah und Liz sehen ihnen lächelnd nach. Fahrräder, E- und Tretroller, Inlineskater, Behindertengefährte und ähnliche Fortbewegungsmittel tauchen auf. Liz fällt der Lieferwagen von vorhin wieder ein, der dem Geräusch nach mit Diesel betrieben wurde.

Liz: Vorhin fuhr da ein Diesel-Lieferwagen. So jedenfalls hat sich’s angehört. Ihr seid hier also noch nicht komplett auf E-Motoren umgestiegen und verwendet sogar noch Diesel …?

Toni: So ist esdie Umstellung auf E-Motoren ist hier bei uns noch nicht komplett gelungen. Es bedarf ja immer einer Abwägung, ob eine an sich rückständige Technik noch eingesetzt wird oder nicht. Beim Systemwechsel gab es zwar schon eine Menge E-Autos, aber eben kaum E-Lieferwagen und überhaupt keine E-Lastwagen, weil das Akkugewichtsproblem noch immer nicht befriedigend gelöst war. Tatsächlich ist der Verkehr in der Neuen Welt aber schon so erheblich geschrumpft – um mehr als 70%* gegenüber der Alten Welt – dass der Einsatz der mit Diesel betriebenen Transporter nicht ins Gewicht fällt. Gleichzeitig wird schwer an Alternativen gearbeitet. Bis dahin wird ein geringer Anteil an fossilen Energieträgern bei der Fortbewegung noch in Kauf genommen. Derzeit geht der Anteil an Strom aus Regenerativen Energiequellen indessen weltweit auf die 85%* zu. Das ist, so kurz nach dem Wandel, enorm! Der Rest ist noch Gasverstromung, Tendenz abnehmend, versteht sich.

Jonah: Nicht übel. Wie habt ihr das denn geschafft?

Micha: Vor allem durch die Umstellung der Produktion und die starke Reduzierung des Verkehrs. Der Ausbau der Erneuerbaren ist indessen noch schwer im Gange, weil der Bedarf mit einem Schlag so sehr in die Höhe schnellte. Weltweit sind über 600* Produktionsstätten für Windkraft, Solar-, Luft- und Erdthermie entweder schon entstanden oder noch im Aufbau.

Liz: Irgendwie logisch. Aber sagt mal, können wir nicht weitergehen? Ich bin so neugierig auf Bonjour!

Toni: Liz, du hast so recht: genug geschwatzt! Micha, wir sollten den beiden jetzt erst mal mehr von der Stadt zeigen. Es gibt noch so viel zu sehen.

Die vier gehen los, queren den Platz und biegen schließlich in eine breite Straße ein. Hier hört man Maschinen rumoren, aber auch Hämmern und Sägen und all den Lärm, der mit Bauarbeiten verbunden ist.

Jonah: Na, da ist ja schwer was los. Wird denn hier so viel gebaut? Und warum?

Micha: Naja, weniger gebaut als umgebaut. Es sind ja jede Menge Gebäude aus der Alten Welt frei geworden, zum Beispiel Geschäfte, Banken, Versicherungen und Ämter. Die meisten wurden schon in Wohnraum, Gemeinschaftswerkstätten, Taberna und Ateliers umfunktioniert,

aber es ist auch noch so einiges im Gange. Was heißt: Es müssen Innenwände abgerissen und neu gezogen werden, Sanitäreinrichtungen ein- oder umgebaut und manchmal auch andere Fenster eingesetzt werden. Allerdings sind diese Baumaßnahmen nichts verglichen mit dem Bauvolumen der Alten Welt, das muss mal gesagt werden. In der Realen Gegenwart werden mehr als 50% der Ressourcen fürs Bauen verbraucht, der globale Ressourcenverbrauch in der Neuen Welt liegt gerade mal bei 17%*. Und das dürfte nochmal sehr viel weniger werden, sobald die Umbaumaßnahmen gelaufen sind.

Sie durchlaufen mehrere Straßen, vorbei an etlichen Ateliers und kleinen Werkstätten, an Wohnraum, der sich auf die Straße auszudehnen scheint, an Brunnen und lauschigen Ecken. Überall wurde Asphalt entfernt, um freie Fläche zu gewinnen für Kletterpflanzen und Spalierobst, erklärt Micha. Da müsse allerdings humusmäßig schwer nachgeholfen werden, damit das auch klappe. Boden, der lange versiegelt war, sei praktisch tot.

Schließlich erreichen sie einen weiteren Platz, der offenbar unter anderem dem Urban Gardening dient. Neben kleinen Anbauflächen gibt es viele Hochbeete, dazwischen Wege und auch Lauben mit Bänken und Tischen. Einzelpersonen und Grüppchen betätigen sich an den Beeten oder besetzen die Lauben, Kinder rennen umher. Jonah, Liz, Micha und Toni laufen gemächlich hindurch. Liz ist offensichtlich sehr angetan, während Jonah eher gelangweilt wirkt.

Liz: Das ist ja wirklich hübsch hier. Und das mitten in der Stadt!

Micha: Sollen wir uns ein bisschen hinsetzen? Guckt mal, die Laube da drüben ist frei.

Sie setzen sich und schauen eine Weile dem Treiben um sich zu. Ein Junge kommt angelaufen und stellt sich rotwangig und grinsend vor sie: Ich soll euch fragen, ob ihr etwas trinken möchtet sagt er.

Gerne, sagt Liz sofort. Die anderen nicken zustimmend.

Bin gleich wieder da, sagt der Junge. Nur Momente später kommt er mit einem Krug Wasser und stellt ihn auf den Tisch, rennt weg und ist kurz darauf mit vier Bechern zurück.

Noch bevor sich die vier bedanken können, ist er schon wieder verschwunden.

Liz guckt ein bisschen verwundert, nimmt dann einen Schluck: Das tut jetzt gut. Ist ja witzig – wie kam er darauf, uns was zu bringen?

Micha: Och, das ist hier eher üblich. Man hat gesehen, dass wir Neue herumführen, und da will man ein bisschen Eindruck machen.

Liz und Jonah lachen.

Jonah: Funktioniert. Ich bin schwer beeindruckt! Er breitet die Arme aus. Und hier

bessert ihr also die Ernährungslage auf?

Toni: Stimmt genau – hier, und an noch einigen weiteren Plätzen in oder unmittelbar an der Stadt. Das sind jetzt keine Projekte, sondern jeder kümmert sich, wie er oder sie mag.

Liz: Neugierige Frage: Wie wird das denn nun spieltechnisch alles umgesetzt? All die Menschen, die man jetzt hier sieht – sind das Mitspieler beziehungsweise ihre Avatare? Oder sind das vorgefertigte Standardszenen?

Toni: Zu Begin des Spieles, also als es noch ganz neu war, wurden Leerspieler, wie wir das hier nennen, eingesetzt. Inzwischen ist die Zahl der Mitspieler so hoch, dass das kaum mehr nötig ist, soll heißen, hinter den meisten hier anwesenden Figuren stecken echte Mitspieler.  Hättest du dich für den heutigen Tag für ne Stunde Urban Gardening eingetragen, wärst du jetzt vielleicht gerade auch hier, um Kohl und Rote Beete zu ernten und zur Gemeinschaftsküche zu bringen. Denn das ist es natürlich, worauf es hier ankommt: Dazu beizutragen, dass die Versorgung insgesamt funktioniert.

Jonah: Wieviel Prozent der Lebensmittelversorgung macht denn das Urban Gardening aus?

Micha: Puh, da bin ich jetzt gerade überfragt … – weißt du das, Toni?

Toni: Ich meine, ich hätte was von 10 Prozent gelesen. Vielleicht ist das aber auch die angestrebte Menge … – die Flächen sollen ja noch stark ausgeweitet und Balkone und Hauswände noch viel mehr einbezogen werden. Aber nein, genau weiß ich es nicht – aber wozu gibt es Diagramme? Wenn ihr unter Daten, Diagramme, Statistiken in die Rubrik Landwirtschaft geht, findet ihr mit Sicherheit ne Menge interessanten Zeugs.

Liz: Ich will auf jeden Fall auch mal raus aufs Land und mir anschauen, wie hier Landwirtschaft betrieben wird. Bestimmt superökologisch! Sie lächelt.

Micha: Klar, das ist der einzige vernünftige Weg aus der Falle der extensiven Landwirtschaft, wie sie in der Realen Welt betrieben wird. Aber ehrlich gesagt, ist das ein riesiges Thema, und soviel steht auch fest: die Umstellung geht nicht von heute auf morgen. Absolut spannend ist die enorme Menge an Daten, Beiträgen und Erfahrungsberichten von Mitspielern aus aller Welt. So kann hier im Spiel ein guter Überblick gewonnen werden über sämtliche Anbaugebiete auf dem Planeten, über Anbaumethoden, Bödenrückführungen und Bödenrückgewinnungen, über Wasser- und Klimaverhältnisse und vieles, vieles mehr. Es gibt einen regen Austausch zwischen Biologen, Geologen und Agrarwissenschaftlern und den Menschen vor Ort, und das gemeinsame Ziel ist die Rückgewinnung gesunder Böden und ein eher kleinflächiger, abwechslungsreicher Anbau mit kleinen Maschinen. Aber wie gesagt, es wird wohl noch Jahre dauern, bis der Erfolg eintritt.  

Jonah: Hört sich trotzdem schon sehr gut an. Du meine Güte – die Ernährung … – ich meine, dass ist doch nun wirklich die absolute Voraussetzung zum Überleben! Und nun macht die Erderwärmung sie noch einmal so viel schwieriger.

Toni: Wohl wahr. Die Anstrengungen, die Erwärmung zu stoppen, sollten allerdings bald Früchte tragen. Dann müssen wir zwar mit den bis dahin angestiegenen Temperaturen und Wetterextremen leben, aber es besteht immerhin die Chance, dass die Temperaturen nicht noch weiter steigen. Dazu trägt nicht nur die Umstellung der Landwirtschaft, sondern die Umstellung der Produktion insgesamt enorm viel bei. Es handelt sich ja um eine umfassende mit weitreichenden Konsequenzen. So ist zum Beispiel beachtlich, wieviel von dem, was in der Alten Welt dringend erforderlich war, in der Neuen Welt schlicht nicht mehr gebraucht wird. Denk nur mal an all das, was allein durch die Aufrechterhaltung des Geldwesens nötig wurde: all die Banken und Versicherungen, die Geschäfte, Kaufhäuser, Finanzämter, Kanzleien, Finanzberatungen, Büros und Verkaufsstellen samt ihrer Ausstattung mit Technik, Möbeln und sonstigen Utensilien. Die Liste ließe sich übrigens noch lange fortsetzen. Auch der Verkehr war zu einem Großteil der Art des Wirtschaftens geschuldet. All das ist weggefallen, ersatzlos gestrichen! Ebenso wie der ganze Luxusbereich. Laut neuesten Meldungen verursacht das Leben der Multimillionäre in der Realen Gegenwart … % der Treibhausemmissionen.

Jonah: Hm, das hatte ich mir so noch nie überlegt … Aber stimmt schon, wenn man mal drüber nachdenkt. Er reibt sich nachdenklich die Nase und schaut Liz an. Das ist schon krass, was der Kapitalismus verursacht. Ein total aufgebauschtes Verbrauchssystem. Und wie gelebt und verbraucht werden kann, wenn man genug Knete hat.

Micha: Hinzu kommt, dass die Menschen, weil sie wenig Zeit haben, sich einen Haufen Technik zulegen, der ihnen Zeit ersparen und ihnen das Leben ein bisschen leichter machen soll. Das Auto steht da an erster Stelle, aber auch Haushaltsgeräte und jede Menge Unterhaltungselektronik.

Toni:  In der Neuen Welt gibt es kaum mehr Berufsverkehr. Die Menschen haben ihre Arbeitseinsätze ja in der Regel nahebei, und logischerweise gibt es auch keine Geschäftsreisen mehr.

Jonah: Oha. Gibt es dann überhaupt noch Flugreisen? Und wie sieht’s mit der Schifffahrt aus?

Toni grinst: Doch, doch, es gibt sie noch, die Flugzeuge! Aber tatsächlich haben wir im Flugverkehr gottseidank einen riesigen Rückgang zu verzeichnen, vor allem im Personenflugverkehr. Und natürlich gibt es keinerlei militärische Flugbewegungen mehr, was auch in der Bilanz schwer ins Gewicht fällt. Der Rückgang des Personenflugverkehrs hat allerdings vor allem damit zu tun, dass sich die überwiegende Mehrheit bereit erklärt hat, für drei Jahre auf Flugreisen zu verzichten, um die Karbonwende hinzukriegen. Das ist zwar fiktiv leichter als real, aber die meisten Mitspieler*innen scheinen sich sehr mit ihren Rollen hier zu identifizieren, so dass es gut sein könnte, dass sie in der Realität genauso entscheiden würden.

Jonah: Hm. Und was ist mit der Schifffahrt?

Toni: Derzeit ist noch so einiges an Frachtern und auch Containerschiffen unterwegs, um dem akuten Mangel an pharmazeutischen Produkten, Technik und manchmal auch Saatgut und Nahrungsmitteln in einigen Regionen zu beheben. Wobei jetzt schon hervorsticht, dass jede Region daran interessiert ist, möglichst rasch den Bedarf über die eigene Herstellung zu decken. Der Knowhow-Transfer boomt also, und wie! Es ist jetzt schon absehbar, dass der marine Frachtverkehr stark zurückgehen wird, und es gibt auch schon erste Projekte, die sich mit Fragen der zukünftigen Nutzung dieser Giganten beschäftigen oder wie sie recycelt werden könnten.

Abgesehen davon werden gerade in allen Werften weltweit Segler gebaut – wunderschön sind die! Nächstes Jahr werde ich in eine Allmende in Südafrika ziehen, und rate mal, wie ich dahin komme?

Liz: Ich komme mit! Jonah sieht sie kurz irritiert an, dann grinst er.

Jonah: Okay, ich auch. Auf einem dieser wunderschönen Segler! Mann, würde ich das gerne in real erleben …

Liz nachdenklich: Wieviele Frachter und  Containerschiffe sind eigentlich gerade bei uns, also in der realen Welt, unterwegs? Weiß das einer?

Toni und Micha schütteln den Kopf.

Micha: Wi‘ss aussieht, müssen wir da beide passen. Ich hab nur noch im Kopf, dass sich der Verkehr über die Weltmeere seit den Siebzigern alle 10 Jahr verdoppelt hat und dass die Personenbeförderung dabei kaum ne Rolle spielte.

Liz: Um Himmels Willen, das ist Globalisierung! Fast schon unvorstellbar! Aber sagt mal, nach dem Großen Wandel muss doch vor allem in den armen und abgehängten Regionen ein enormer Nachholbedarf bestanden haben – und wahrscheinlich noch bestehen! Ich muss nur an die Slums in so vielen afrikanischen Städten denken und überhaupt all die Menschen weltweit, die jetzt nicht nur endlich nicht mehr hungern wollen, sondern sich auch Zugang zu sauberem Wasser, ein vernünftiges Dach überm Kopf, gute Kleidung, Möbel und Sanitäreinrichtungen wünschen … – da dürfte der Frachtverkehr ja zuerst mal kaum abgenommen haben

Toni (nickt): Stimmt, was den Nachholbedarf angeht. Ihr könnt euch vorstellen, was nach dem Großen Wandel in einer Stadt wie Mumbai los war. Oder Mexico-City! – in diesen Megastädten mit teilweise miserabler Versorgung. Unsere dortigen Mitspieler schrieben, dass nur die Bildung von Allmenden, die klaren Zielvorgaben und eine gute Portion Enthusiasmus das große Chaos verhindert hätten, so dass die tiefgreifenden Maßnahmen in der Infrastruktur koordiniert vorgenommen werden konnten. Im Spiel lief das dann relativ diszipliniert ab, aber es ist durchaus fraglich, ob es in der Realität auch so wäre.

Micha: Es sei denn, man hat bereits aus einem Spiel gelernt …

Sie lachen.

Toni: Selbstverständlich bestand in den zuvor armen Regionen ein hohes Maß an Bedürfnissen, wobei Nahrung und sauberes Wasser an erster Stelle standen. Es sind auch bei weitem noch nicht alle Probleme gelöst – das wissen wir, denn im Spiel gelten nur Lösungen, die sich aufgrund der Datenlage und der Berechnungen als realistisch erweisen. Es ist allerdings sehr schnell eine rege Zusammenarbeit von den Menschen vor Ort mit Wissenschaftlern entstanden, da profitieren beide Seiten voneinander. Über die Bewohner der Regionen treffen viele Informationen und auch Kenntnisse ein, die vor allem hiesigen Wissenschaftlern bisher nicht zugänglich waren. Ganzheitliche Ansätze, die die regionalen Bedingungen und das in den Kulturen existierende und über viele Generationen tradierte Wissen mit dem von modernen Ingenieuren, Geologen, Biologen und Agrarwissenschaftlern zusammenbringen, sind da gefragt, denn es gilt, optimale Lösungen zu finden. Jede gute Lösung stärkt die Weltgemeinschaft als Ganzes, das darf nie vergessen werden.

Jonah: Wie funktioniert das denn nun mit den Pools? Es liest sich ja fast so, als ob da so eine Art Ebay-Kommunismus herrsche.

Toni und Micha lachen laut auf.

Micha: Cool! – Ebay-Kommunismus. Das muss ich mir merken.

Toni grinst: Naja, so ganz falsch ist das ja nicht. Bloß fließt eben kein Geld. Vielleicht wäre Ebay-Paradies noch treffender … Allerdings, soweit sind wir hier echt noch nicht. Ja, also wie geht das, wie können Menschen in aller Welt alles haben, was sie brauchen … – das ist doch deine Frage, oder?

Jonah: Genau.

Toni: Vorweg: es geht nicht, oder nicht so, wie wir uns das mit unserem jetzigen westlichen Konsum- und Verbraucherdenken vorstellen, wo man, so es der Geldbeutel erlaubt, etwas bestellt, und zack, ein paar Tage später ist das neue Handy, die Spielkonsole, das Traumbett etc. da. Was tatsächlich vonstattengeht, ist eine gigantische Berechnung, in die alle Daten zu Ressourcen, Herstellungsorten, Herstellungsverfahren, Transportmöglichkeiten und ökologischen Auflagen sowie Logistik und vieles mehr eingehen. Was ist wo wie und mit welchem Aufwand möglich, welche Versorgungsprioritäten und auch -defizite gibt es in den jeweiligen Allmenden, welche Allmenden produzieren was, welches Knowhow braucht es wo, um eine lokale Produktionsstätte zu schaffen? – usw. usf. Dabei kommen ganz klare Einheiten heraus, wie wir das nennen: Also, die Region 1 in einem früheren Entwicklungsland braucht A und B und Y, um die Selbstversorgung in Gang zu bringen, eine Infrastruktur zu schaffen und die Regenerierung der Natur einzuläuten oder sogar schon zu forcieren. Diesbezüglich hat sich, wie ich ja vorhin schon sagte, bereits ganz klar ergeben, dass das Interesse und die Anstrengungen der Allmenden, den lokalen Bedarf möglichst auch lokal abzudecken, ganz im Vordergrund stehen. Sobald die Ketten staatlicher, diktatorischer, militärischer und was weiß ich nicht noch für Machtstrukturen gefallen sind, und sei es auch nur in einer Simulation, erwachen die uralten Kenntnisse des vernünftigen Umgangs mit den lokalen Ressourcen wieder.

Liz: Aber wie kann die Natur geschont werden, wenn ein so großer Nachholbedarf da ist?

Jonah: Und sollte nicht auch jede Allmende einen Beitrag zum Pool leisten?

Toni: Okay, eins nach dem anderen. Also erstmal ist es tatsächlich so, dass der lokale Ressourcenabbau und Ressourcenverbrauch sogar zurückgegangen ist. Das hat uns auch total überrascht! Der Grund: Viele der Ressourcen vor Ort wurden zuvor in die Produktion von Exportgütern gesteckt oder direkt exportiert – womit noch einmal klar wird, wie sehr diese Erdregionen von den Industrieländern geschröpft wurden. Jetzt kann man sich dort wieder auf traditionelle, nachhaltige Herstellungsverfahren konzentrieren und innovativ an neuen arbeiten, die es den Menschen vor Ort erlauben, ihre Welt so zu gestalten, wie es die Natur erlaubt. So kommen in der Landwirtschaft schon vergessen geglaubte Nutzpflanzen und Anbaumethoden wieder zum Zuge. Das ist spannend, weil es auch gut aufzeigt, welchen konkreten Nutzen die Abkehr von der industriellen Landwirtschaft bringt.

Zum Poolbeitrag: Von Allmenden, die gerade dem Hungertod entkommen sind, kann erstmal kein Beitrag erwartet werden, das ist klar. Das ist auch nicht notwendig. Es ist aber schon erstaunlich, wie schnell sich die Situation aufgrund der von mir genannten Anstrengungen in ihnen ändert. Relativ schnell kommt es dann doch zu Beiträgen, oft von zunächst traditionellen Handwerksprodukten, und sobald ein landwirtschaftliches Plus produziert wird, fließt es als Beitrag in den Pool. Sobald die Produkte darinnen sind, werden sie mit der Nachfrage abgeglichen und die Ökobilanz für den Transport berechnet. Im Moment fahren wir mit einem Kalkulationsmodell namens Quo vadis recht gut, aber es gibt durchaus noch Luft für Verbesserungen.   

Das war viel an Information, und alle schweigen, trinken aus ihren Bechern und genießen ein paar Sonnenstrahlen, die durch die herbstlich gefärbten Blätter der die Laube umrankenden Rebe fallen. Es sind keine Trauben zu sehen, die sind also wohl schon geerntet. Toni füllt allen Wasser nach. Dann ergreift Micha das Wort.

Micha: In der Realen Gegenwart ist das Reisen ja ein großes Thema – übrigens erst seit den Fünfzigerjahren ist es das, als der Flugverkehr und die sogenannte Soziale Marktwirtschaft allmählich in Schwung kamen. Kein Wunder also, dass euch das Thema interessiert und ihr euch fragt, was diesbezüglich hier so abgeht. Also, was hier bei uns wieder ein bisschen in Mode gekommen ist, ist das Reisen per Zug, Fahrrad, Pferd oder sogar auf Schusters Rappen. Er grinst. So hieß das doch früher, oder? Es gibt dazu sogar ein eigenes Forum im Spiel mit Erfahrungsaustausch. Außerdem ist, laut Mitspielern, auch die Wertschätzung der näheren Umgebung sehr gestiegen. Der Anstieg an Lebensqualität in der Natur vor Ort und wie sich erholt, das wird honoriert. Wer hier jetzt noch reist, tut dies nach eigenen Angaben überwiegend aus praktischen Gründen, etwa weil es das Metaprojekt, in dem man sich engagiert, nötig macht, oder auch, weil es gilt, weit entfernt lebende Familienmitglieder und Freunde mal wiederzusehen, etwa solche, die in Übersee leben. Nicht wenige freuen sich aber tatsächlich auch sehr darauf, bald die großen Segler zu nutzen. Man ist dann lange unterwegs … – aber was soll’s?

Jonah: Klar, man ist ja frei.

Toni: Jetzt fällt mir grade noch was zur Ressourcennutzung ein, die ja so ein riesiges Thema ist. All das – der Ackerbau, der Einsatz von Materialien und der Bedarf daran, der Abbau und die Nutzung von Ressourcen – all das lässt sich in der Neuen Welt sehr gut verfolgen, weil alle Allmenden weltweit sowohl ihren angemeldeten Verbrauch ins Netz stellen wie auch ihre Förder- und Produktionsmengen. Es kann so immer wieder aufs Neue berechnet werden, was eine optimal ausgewogenen Förder-, Produktions- und Verbrauchsmenge ist, und zwar sowohl lokal als auch regional und global. Und auch, was getan werden muss, damit es weder zum Raubbau kommt noch zum Mangel.

Jonah: Da spielt doch Recycling sicherlich auch ne große Rolle, oder?

Micha: Und wie! Die in der Alten Welt hergestellten Geräte versorgen uns derzeit noch ganz gut mit so einigem, was für die Produktion neuer Geräte nötig ist, und auch diese werden dann ja irgendwann wieder recycelt. Möglicherweise kann ein relativ geschlossener Kreislauf hergestellt werden, sodass der Bedarf etwa an Seltenen Erden stark zurückgefahren werden kann. Doch wir werden sehen, wie sich die Dinge diesbezüglich in Zukunft entwickeln.

Jonah: Macht das eigentlich Sinn, überall alles produzieren zu wollen? Irgendwie leuchtet mir das nicht so ein.

Toni: Ein sehr richtiger und wichtiger Einwand. Bei manchem ist es unsinnig, bei manchem aber auch nicht. Soweit wissen wir mit Sicherheit, dass es vorteilhaft ist, wenn die in den Großregionen zusammenarbeitenden Allmenden zumindest den Grundbedarf an Lebensmitteln selbst decken. In vielen Allmenden sind die Handwerkskünste auch wieder aufgeblüht, so dass ohnehin vor Ort so einiges hergestellt wird, was zur Grundausstattung jedes Einzelnen gehört, wie etwa Geschirr, Kleidung, Möbel und auch der eine oder andere Hygieneartikel.

Micha: Da fällt mir grad ein … -Schuhe gehören nicht dazu, oder? Er schaut Toni an.

Toni: Nee, bei Schuhen und zum Großteil auch bei Kleidung hat sich wohl herausgestellt, dass die in einer größeren Produktionsanlage eindeutig ökologischer herzustellen sind. Die regionale Möbelherstellung weist indessen ziemlich gute Bilanzen auf. Und was Baumaterialien angeht, hat fast jede Gegend was zu bieten. Die PV-Module für die Dächer wiederrum werden an nur wenigen Standorten auf den Kontinenten hergestellt. Und so weiter … – da könnte man jetzt lange berichten. Jedenfalls, was nicht vor Ort produziert wird, wird dann als Nachfrage ins Poolnetz gestellt.

Micha: Jetzt haben wir einen Haufen erzählt, aber wisst ihr, das meiste wird sich euch ganz von selbst erschließen, wenn ihr die Neue Welt ein bisschen besser erkundet habt. Nur soviel noch zu dem Thema: Natürlich kann es durchaus ökologisch sinnvoll sein, Produkte auch über große Entfernungen anzukarren, weil es unsinnig ist, eine Produktion für etwas auf die Beine zu stellen, was entweder andernorts bereits reichhaltig hergestellt wird oder dessen Produktion sehr aufwendig ist, wie das etwa bei Elektrogeräten, Maschinen, Fahrzeugen oder auch speziellen Pharmaka der Fall ist. Wenn das an einigen Standorten gut läuft, kann es dabei auch bleiben. Ist der Bedarf größer als das Angebot, muss allerdings neu überlegt werden. Da geht dann eine Anfrage an alle Allmenden, die von den Anforderungen her infrage kommen, ob sie sich vorstellen könnten, eine derartige Produktion aufzuziehen. Kommt dann ein Ja, wird der Allmende oder dem Verbund von lokalen Allmenden alle erdenkliche Hilfe zuteil … – von Materialien über Fachkräfte und Knowhow bis hin zur vorübergehenden Unterstützung durch Arbeitseinsätze aus anderen Allmenden.

Übrigens, mal bei der Elektronik bleibend: Da alle Geräte dermaßen haltbar produziert werden, dass sie über viele Jahrzehnte funktionieren und stets einfach auf den neuesten Stand zu bringen sind, ist das auch ein so überaus wichtiger Fortschritt gegenüber der Produktion in der Alten Welt.

Jonah: Das hört sich richtig gut an! In der Realen Gegenwart gehören Sollbruchstellen und schlechte Qualität ja zu den täglichen Ärgernissen! Eine echte Sauerei, wie in der Produktion der Zerfall sozusagen schon eingebaut ist! Da gehen Profit und Ressourcenzerstörung übelst Hand in Hand. Naja, wie in so vielen anderen Bereichen auch. Etwa der Zerstörung von Tropenwäldern für den Anbau von Palmöl oder treibstoffliefernde Pflanzen oder Tierfutter. Oder für die Rinderhaltung. Er seufzt.

Gerade fällt mir wieder meine Frage wegen der Probleme ein und wie die sich in einem Spiel überhaupt äußern können.

Micha: Herrjeh, das hab ich ganz vergessen. Es sind so viele Themen …! Denkt nach.

Hm, also, ich mach mal ein Beispiel auf. Wo wir schon mal über AKW gesprochen haben … – da gibt es ein aktuelles Problem. Unser AKW-Rückbau-Projekt lässt verlautbaren, dass sich das Flusswasser, das gebraucht wird, um die Brennelemente in den Abklingbecken zu kühlen, durch den diesjährigen heißen Sommer dermaßen erwärmt hat, dass es zum Kühlen zunehmend ungeeignet ist. Aktuell weiß man im Projekt nicht, wie das Problem gelöst werden soll. Eine erste Ideenrunde ist gelaufen und wird vorgestellt, Machbarkeitsprüfungen laufen noch – über Hochrechnungen. Außerdem wird das Problem inklusive zahlreicher Daten und Angaben zu den lokalen biogeologischen Bedingungen ins Netz gegeben und damit eine Anfrage an alle anderen AKW-Projekte gestellt. 

Jonah: Sagenhaft. Das heißt, es kommen empirische plus wissenschaftliche Werte aus aller Welt herein?

Micha: So ist es.

Jonah: Aber gibt’s da nicht doch ein Problem? In der Realen Gegenwart wollen sich die meisten Länder ja nicht in die Karten blicken lassen, schon gar nicht bei einem so sensiblen Thema wie der Atomkraft, oder? Und aus der Realen Gegenwart kommen ja nun mal die Daten!

Micha: Für bestimmte Bereiche hast du da sicher recht. In der Realen Gegenwart muss sich alles den konkurrierenden Interessen unterordnen, und das nicht zu knapp. Gerade bei der Kernenergie wird ja nur zu deutlich, wie unselig verwoben nationale, ökonomische und militärische Interessen sind. Dass die Kernenergie eine Hochrisikotechnik ist, ist nämlich allgemein bekannt – da wird also bewusst in Kauf genommen, dass hunderttausende von Menschen bei einem Supergau tödlich verstrahlt werden und über mehrere Generationen hinweg Krebserkrankungen drastisch steigen. Schon irre. Und das mal ganz abgesehen von dem Problem der Entsorgung des hochradioaktiven Mülls, der in der Realen Gegenwart ja auch ungelöst ist und mit dem wir uns jetzt hier herumzuschlagen haben. Das Spiel ist vielleicht ein gutes Forum, um all das verstärkt ins Bewusstsein zu bringen. Aber wie dem auch sei: Es gibt genügend Atomphysiker, Ingenieure und sonstige Atomexperten, die uns hier bei offenen Fragen sehr helfen.

Jonah: Habt ihr denn eine Lösung gefunden für den Atommüll?

Micha (seufzt): Schön wär’s. Nein – die gibt es auch nicht! Wir können nur versuchen, optimale Zwischenlösungen zu finden. Nach dem Globalen Wandel hat sich sofort ein Metaprojekt gebildet, dass sich einzig mit diesem Problem beschäftigt. Alle in der Realen Gegenwart als mögliche Endlager vorgesehenen Orte wurden noch einmal überprüft und mehr als die Hälfte davon als untauglich eingestuft. Als Zwischenlager – denn so eine geologische Formation hält nie für alle Zeiten – kommen vier Standorte weltweit infrage. Dort wird das hochradioaktive Material also vorläufig untergebracht, in dem Bewusstsein, dass von nun ab jede Generation darüber wachen muss. Und sie muss sowohl nach neuen Standorten suchen, die irgendwann die alten ablösen können müssen, als auch nach neuen Lösungen forschen. Es ist geradezu kriminell, was uns da die Alte Welt aufgebürdet hat – für hunderttausende von Jahren! Ungemein gut ist nur, zu wissen, dass zum alten kein neuer Atommüll hinzukommt. 

Toni: Und überhaupt: das Thema Kernspaltung ist praktisch aus der Welt! In der Neuen Welt muss man sich weder vor einem Atomkrieg fürchten noch vor einem Super-GAU.

Liz (nachdenklich): Das muss sich super anfühlen. 

Micha: Ja, aber ihr seht auch: Natürlich lassen sich im Spiel Probleme entdecken! Oder es entstehen ganz neue. Und die zu lösen ist manchmal genauso schwierig wie in der Realen Gegenwart. Nur gut, dass hier viele der Probleme der Alten Welt schlicht wegfallen, nämlich fast alles, was zum Kapitalismus gehörte und zum Agieren der Nationen, einschließlich dem ganzen Militärkram. Einzig die von der Alten Welt hinterlassenen gravierenden ökologischen Probleme, die müssen wir jetzt hier lösen. Und zwar im Sinne von Mensch UND Natur.

Toni: Hm. Mir kommt gerade, dass ihr mit der AKW-Sache in einem ziemlichen Extrembereich gelandet seid. Die meisten der zu bewältigenden Aufgaben sind ja viel, viel einfacher gestrickt. Es müssen Dinge hergestellt werden, die wir für ein gutes Leben brauchen, wie Nahrungsmittel, Kleidung, Möbel, allerlei Gebrauchsgegenstände, Werkzeuge, Maschinen, medizinische Geräte, Wohnraum, Wärme, Medikamente usw. Dafür wiederum braucht es eine funktionierende Infrastruktur mit Strom, Wasserversorgung und -entsorgung, Transportmöglichkeiten und Räumlichkeiten. Und dann gibt es noch die Aufgabenbereiche, in denen es darum geht, die natürlichen Grundlagen wiederherzustellen, soll heißen, Biotope zurückzugewinnen, Äcker wieder fruchtbar zu machen, die Gewässer von Schmutz, Plastik und Chemikalien zu befreien. Für all diese Arbeiten gibt es Unmengen von Daten aus der Realen Gegenwart betreffs der Erfordernisse, die zu ihrer Bewältigung nötig sind. Und die werden genutzt, um im Spiel sozusagen durchzurechnen: Was wird denn an Arbeitszeit, an Materialien, Rohstoffen und Kenntnissen gebraucht, um diese neue Ökonomie funktionieren zu lassen?

Jonah: Ja, und das ist auch wirklich faszinierend. Aber, sag noch mal: wie ist das jetzt nochmal mit der Verteilung der Arbeit? Wie läuft das konkret ab? Und wie werden meine Stunden berechnet?

Toni: Du erhältst ein eigenes digitales Logbuch, in dem verzeichnet ist, zu was du dich mit wieviel Stunden angemeldet hast. So behältst du den Überblick.

Micha: Stell es dir so vor: Sagen wir mal, in Bonjour ist ein Häuserblock noch ohne … er überlegt … Faserkabel. Nachdem das nötige Material organisiert worden ist, wird also gefragt: Wer hilft bei der Verlegung? Wer hat noch Zeit dafür, ohne die 12 Stunden zu überschreiten? Du hast gerade noch die Kapazität von 3 Stunden frei und meldest dich. So einfach ist das.

Jonah: Ist das mit den 12 Stunden eigentlich ein Muss?

Micha: Nein, prinzipiell wird keiner gezwungen.

Liz: Ach, und das funktioniert?

Toni: Bei solchen Fragen merkt man gleich, wie es in der Realen Gegenwart zugeht (grinst) … Hier ist eben alles anders. Ja, soweit funktioniert das bestens. Jede und jeder kann etwas, und wer nimmt, gibt offenbar auch gerne. Eben das, was er oder sie kann. Das kann die Reparatur einer Elektroleitung ebenso sein wie das Arbeiten mit Robotern, das Entwerfen eines Möbelstücks oder das Schreiben eines Romans. Das ist ganz egal. Würde jemand wirklich absolut nichts für die Allmende oder ein globales Metaprojekt tun wollen, so ist ihm oder ihr das freigestellt. Schließlich kann es zahlreiche Gründe dafür geben.

Liz: Muss er oder sie die sagen?

Toni: Nein! Wo kämen wir denn hin!

Jonah: Und hat er oder sie trotzdem vollen Zugang zum Pool?

Toni: Selbstverständlich.

Micha (lacht): Ja, das ist schwer nachzuvollziehen, nicht wahr? Aber du wirst sehen, es funktioniert. Zumindest das können wir, glaube ich, jetzt schon sagen. Auch die Sache mit der Arbeitsverteilung ist weniger problematisch, als zumeist gedacht wird, vor allem in der realen Gegenwart.  

Jonah: Hm. Sinniert. Aber wie ist das mit so richtig unangenehmen Arbeiten? Sagen wir mal, Scheißarbeiten im wahrsten Sinne des Wortes. Etwa, äh, Kanalreinigung oder so. Oder tödlich langweiligem Kram.

Micha: Das meinte ich mit Modellen. Unsere direkte Nachbar-Allmende arbeitet mit dem Belohnungsmodell. Wer eine unangenehme Arbeit verrichtet, wie etwa Teerarbeiten oder die von dir angeführten Kanalarbeiten oder auch eine Arbeit, die einen hohen körperlichen Einsatz verlangt aber noch von keiner Maschine geleistet werden kann, dem wird die Stunde dort doppelt angerechnet.

In unserer Allmende machen wir es ein wenig anders. Wir setzen darauf, dass die Interessen unterschiedlich genug verteilt sind, so dass letztlich alle Arbeiten erledigt werden. Was bis jetzt auch ganz gut lief … schaut Toni an – bis auf ein Mal.

Toni: Oha, ja. Da ging’s rund. Bloß wegen der Küchenaufräumerei. Zwei von denen, die das ganz gerne machen, waren krank. Und jetzt fand sich partout keiner, der dazu bereit war. In einem Spiel ist das natürlich ein Witz, weil ja keiner die Arbeit tatsächlich machen muss. Aber wie gesagt: die Mitspieler nehmen die Sache schon ernst. Und wollen wohl auch testen, was in so einem Fall passieren könnte.

Jonah: Und was ist passiert?

Toni: Naja, die Allmendemitglieder haben sich ein wenig gestritten – naja, ein bisschen mehr als das: zwei haben ihre Avatare sich prügeln lassen – und sich dann auf einen Palaverabend geeinigt.

Jonah und Liz lachen.

Liz: Echt, geprügelt? Ist ja heiß. Aber wie war das gerade …: Palaverabend?

Toni: Ja, ein Abend, an dem ausdiskutiert wird, wie man mit sowas umgehen könnte. Oder noch besser: wie man in Zukunft verbindlich damit umgeht. Wird eine Lösung gefunden, ist’s gut. Wenn nicht, und wenn es dann weiterhin zu Konflikten kommt, kann die Allmende eine(n) Berater*in hinzuziehen. Dass sind ausgebildete Fachleute, jeder Allmende-Verbund hat mindestens eine(n).

Liz: Hm, das hört sich zu schön an, um wahr zu sein. Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, dass sich so alle Konflikte lösen lassen. Himmel, ich hab schon Leute sich hassen sehen, dass nur so die Funken geflogen sind.

Micha: Geschenkt, Liz. Wir sind ja hier nicht im Paradies. Obwohl wir in der realitätsnahen Simulation einer möglichen und sehr viel besseren Welt sind, oder gerade deswegen, krachts auch hier gelegentlich. Allerdings leben alle, die hier mitmachen, ja gleichzeitig in der Realen Gegenwart und müssen dort täglich mit all den Absurditäten und Zwänge umgehen, die es da so gibt. Da ist es nicht eben einfach, das sich in der Neuen Welt auftuende Spektrum an Möglichkeiten und Chancen wirklich gut zu erfassen und auszuloten. Trotzdem denken sich viele richtig stark in das Ganze ein und verspüren einen Wandel in ihren Anschauungen und Wahrnehmungen. Aber das nur nebenbei. Wäre die Neue Welt real, würde es mit Sicherheit auch da Missgunst und Hader geben und den Mord aus Leidenschaft. Es würde vermutlich auch noch immer Menschen geben, die Drogen klasse finden, auch wenn sie weniger Grund dazu haben, und es wird unglücklich Verliebte geben und auch Rachsüchtige, denn beleidigen kann man sich in jeder Gesellschaft. Aber es gäbe niemanden mehr, der Existenzangst haben müsste, unfreiwillig einsam wäre oder ausgebeutet würde. Da in der Weltgemeinschaft keiner einen besonderen Rang einnehmen kann, sondern jeder seine in der Wertschätzung gleichen Beiträge leistet, ist dem Heraushandeln persönlicher Vorteile so ziemlich der Boden entzogen. Und an Macht und Reichtum zu gelangen kann man gleich ganz vergessen. Niemand kann sich mehr die Arbeitskraft eines anderen kaufen … Es gibt kein Geld! – und jedes Surrogat verstieße gegen die Spielregeln.  

Jonah kratzt sich die Nase: Super. Trotzdem … Also gut, ich bin gespannt, was ich hier so erleben werde.

Liz: Ich auch!

Toni: Heißt das, ihr bleibt? Hättest ihr dann noch Zeit, heute Abend nach der Glaswerkbesichtigung mit uns zusammen zum Kartoffelfest zu gehen? Da könntet ihr dann gleich ne Menge Allmende-Mitglieder kennenlernen …

Micha grinst: … die euch mit Sicherheit fragen werden, ob ihr morgen mit in die Allmende-Versammlung kommt, wo ein paar wichtige Themen diskutiert und Beschlüsse gefasst werden sollen. Echt interessant.

Jonah: Hm, ich für mich kann das jetzt noch nicht sagen, aber wenn’s irgend geht, werd‘ ich da mitmachen.

Liz: Ich kann heut Abend leider definitiv nicht dabei sein. Schade. Aber bald ist ja Wochenende … Jonah wird mich außerdem auf dem Laufenden halten. Oder?

Jonah mit einem Seufzer: Ich werd’s versuchen.

Toni: In der Neuen Welt wird übrigens viel gefeiert und zusammen was unternommen. Kaum ein Tag ohne einen wohltuenden Ausklang! Tatsächlich, das funktioniert sogar in der virtuellen Welt!. Und Kulturangebote gibt’s auch jede Menge: Theatervorstellungen Konzerte, neuerdings haben wir auch ne OpenAir-Bühne, und morgen wird auch besprochen, ob zu den zwei Stadtkinos, die wir bereits haben, noch ein drittes dazukommen soll. Viele haben sich nämlich dafür ausgesprochen mit der Begründung, es sei viel schöner, sich gemeinsam Filme anzugucken.

Micha: Außerdem gibt’s ständig Sportveranstaltungen …

Jonah: Wow. Und wie wird das alles organisiert? Von Projekten?

Micha: So ist es. Das spannende ist, wie bei so vielem hier, zu überlegen, was geht – und was nicht. Was wird gewollt, wie viele Allmendemitglieder*innen sind bereit, da mitzumachen und dazu beizutragen, stimmt die Ökobilanz hinsichtlich Ort und Materialien? – usw.

Jonah: Okay, ich kann mir schon vorstellen, dass mir das auch Spaß machen würde. Zumal man – wenn ich das recht verstanden habe – relativ schnell erfährt, was dabei herauskommt. Aber apropos Spaß … – ich meine, so wie bei ner realen Sportveranstaltung oder in einem realen Biergarten oder auch bei einem Konzert … – sowas geht doch hier schlicht nicht!

Micha grinst: Da irr dich mal nicht. Gelegentlich werden schon Aufführungen ins Spiel gesetzt, einfach so zum Spaß. Aber klar: wir können uns nicht real zusammensetzen, sondern nur als Avatare. Du kennst das ja bestimmt aus anderen Spielen: Man mag sich vorstellen, wie es ist, jemanden zu küssen, aber die Wirklichkeit ist nun mal schlecht zu überbieten … Und doch wird im Spiel durchaus sichtbar, wie sich diese neue Gesellschaft auf das Miteinander auswirkt. Schließlich kann hier jeder entscheiden, wo und wie er seine Fähigkeiten einbringt und welchen Interessen er nachgehen will. Vielleicht liegt der größte und mutmachendste Gewinn aber sogar darin, zu erleben, wie sich das Klima und die Natur erholen und wie großartig ein Leben ist, dass genau das bewusst erlebt.

Und noch was werdet ihr hier erfahren … Er denkt nach. Also, ganz viele der Unterschiede, die in der Alten Welt schwer ins Gewicht fielen, verlieren hier irgendwie ihre Konturen. Die spielen einfach gar keine Rolle mehr …

Liz: Wie was?

Micha: Naja, wie etwa die zwischen den Geschlechtern. Oder zwischen Jung und Alt, Unterschieden im Können, oder auch Behinderten und Nichtbehinderten … Wir haben tatsächliche mehrere Mistspieler, die sich für Behinderten-Avatare entschieden haben, um zu erkunden, wie es denen in der Neuen Welt so ergeht.

Toni stellt seinen Becher laut auf dem Tisch ab.

Toni: Also hört mal, ich finde, wir sollten jetzt zur Glasfabrik aufbrechen, es wird ja schon bald dunkel, und dann sieht man auf der Fahrt nicht mehr so viel. Sind alle einverstanden? M

Sie nicken.

Jonah: Und wie! Ich bin schon die ganze Zeit darauf gespannt.

Micha: Okay. Wir nehmen also die Tram. Kommt mit.

Sie gehen zu den Gleisen. Während sie warten, meint

Micha: Wisst ihr, wir sind mit dem Ganzen hier ja noch ziemlich am Anfang. Jede und jeder, der hier mitmacht, bereichert die Neue Welt mit Wissen, Erfahrungen und auch mit ganz persönlichen Anliegen.  Es wird sich zeigen müssen, wie gut das alles verwendet und eingebaut werden kann, so dass die virtuelle Welt möglichst nahe an eine real mögliche Welt drankommt.

Jonah: Ja, klar, das ist ja der Grund, weswegen ich hier mitmachen will. Es ist einfach fantastisch, dass auf diese Weise vielleicht bewiesen werden kann, dass es auch anders geht. Dass wir auf eine Art und Weise zusammenleben könnten, die allen guttut, und zwar auf Dauer. Da fällt mir ein … – das wollte ich vorhin schon fragen: Gibt es eigentlich schon Anzeichen einer Veränderung der Anzahl von Menschen? Ach herrje … – wie will man sowas denn überhaupt feststellen?

Micha: Prima, dass du das ansprichst. Das geht natürlich nur über Befragungen. Nehmen wir zum Beispiel eine Allmende an einem Ort, wo in der Alten Gegenwart viele Kinder zur Welt kamen, etwa im Sudan. Unsere Mitspieler im Sudan wissen nun, dass – anders als in ihrer realen Gegenwart – ihre Existenz gesichert ist, sie Zugang zu Infrastruktur, Bildung und kulturellen Einrichtungen haben. Im Laufe des Spieles erleben sie, wie sich unter den neuen Spielregeln die Landschaft wandelt, Ökosysteme sich regenerieren, ihr Dorf oder ihr Stadtteil sich positiv verändert und sie selbst einen wichtigen Beitrag dazu leisten können. Du weißt ja: Ausgangspunkt im Spiel sind stets die realen physischen Bedingungen eines Ortes, wie sie zum Zeitpunkt der Spielprogrammierung vorherrschten: also Zustand der Natur, Art und Zustand der Gebäude, Landwirtschaft, Infrastruktur, Industrie etc. So, und nun zeigt sich also, wie sich all das verändert unter den neuen Spielregeln. Da kann dann auch schon mal ne Umfrage gestartete werden in dem Sinne: Besteht Kinderwunsch, und wenn ja, wie viele Kinder würdet ihr als ideal betrachten?

Jonah: Verstehe. Das ergibt zwar nicht gerade zuverlässiges Material, denn Wünsche sind Schall und Rauch, aber es ist eben doch eines, mit dem sich erst mal arbeiten lässt?

Die Tram nähert sich, und Toni hebt eine Hand.

Toni: Genauso ist es.

Sie steigen ein und nehmen Platz. Und schweigen, was auch mal guttut. Während sie durch die Stadt fahren sieht Liz an den Gleisen einen Ticketautomaten. Sie deutet auf ihn.

Liz: Na, der wird ja wohl auch nicht mehr gebraucht, oder?

Ihre Guides nicken.

Micha: Logisch. Obwohl schon ziemlich viele entfernt wurden, sind noch immer welche da, genau wie auch Bankautomaten und sonstige Automaten. Sie abzubauen ist viel Aufwand und außerdem ja nicht so dringlich.

Toni: Seht ihr das Gebäude da drüben? – deutet darauf. Das ist der ehemalige Allianz- Hauptsitz. In der Versammlung morgen wird es auch um ihn gehen, soll heißen, wie das Gebäude umgenutzt werden könnte. Wir waren bisher am Daten- und Ideensammeln, jetzt muss es ein bisschen konkreter werden. Solltet ihr, oder wenigstens einer von euch, dabei sein, hättet ihr also nicht nur Gelegenheit, zu erleben, wie das bei uns abläuft, sondern auch, Fragen zu stellen.

Jonah: Hört sich gut an. Trinken wir danach ein Bier?

Liz grinst, die Guides sind entzückt.

Toni: Nochmal willkommen in Bonjour, Jonah! Nur zu gerne!

Die Tram erklimmt jetzt einen Hügel, vorbei an alten Villen und einem See mit einem langen Sandstrand, an dem trotz der herbstlichen Temperatur noch viel los ist. Jonah ist in Gedanken allerdings noch mit den Villen beschäftigt.

Liz: Wie ist das eigentlich mit dem Wohnraum? Wie wird das organisiert? Will nicht jeder in so einer Villa leben?

Micha lacht: Sollte man denken, ja. Und am Anfang war es auch so, aber das hat sich schnell gelegt.

Toni: Also, vielleicht sollte man das von vorne erklären. Wir haben das hier nämlich so gemacht: Nach dem Großen Wandel wohnte erstmal jeder dort weiter, wo er bisher auch wohnte, und vormals Wohnungslose erhielten sofort Wohnraum in ehemaligen Ferienwohnungen, Hotels, Jugendherbergen etc. Dann wurde der gesamte Bestand an aktuell vorhandenem Wohnraum aufgenommen – nach Quadratmetern und Ausstattung. Es wurde eine Liste erstellt an nötigen Renovierungs- und Restaurierungsarbeiten und diese einem Projekt zugeteilt, das sich ausschließlich darum kümmert. Gleichzeitig wurde eine Bedarfsliste erststellt, in der sich jede und jeder eintragen konnte, der mit seiner gegenwärtigen Wohnsituation unzufrieden war. Das waren bei uns zirka 20%*. Woran liegt es, wurde dann gefragt: Zu wenig Platz?, zu wenig Licht?, Technik?, schlechter Grundriss?, Ästhetik? … etc. In einem Projekt wurde dann zusammen mit den Bewohnern die Umgestaltung geplant und durchgeführt. Wer sich danach immer noch nicht wohl fühlte, konnte und kann sich für Wohnraum anmelden, der durch die Umnutzung von Gebäuden entsteht, die der Geldgesellschaft geschuldet waren. Und immer kann man auch selbst mitwirken und mitgestalten, so man will. Einzige Einschränkung ist der Materialverbrauch, der eine gewisse Grenze nicht überschreiten darf oder auch schon mal mit Wartezeiten einhergeht.

Micha: Am Anfang war das alles schon ein großes Thema, aber mittlerweile hat es sehr an Brisanz verloren. Vielleicht auch, weil viel mehr draußen gelebt wird als zuvor und es sehr viele Freiräume zur Gestaltung des eigenen Lebens gibt.

Toni: Allen ist außerdem klar, dass nur durch eine globale Kraftanstrengung das Klima und der Artenreichtum gerettet werden können, die beide wiederum die Grundlage eines guten Lebens sind. Das ist dann noch mal ne andere Ebene, aber ich glaub, die spielt auch rein.

Sie fahren gerade an einer Villa vorbei, vor der ein älteres Paar sitzt, die Gesichter der spätnachmittaglichen Herbstsonne zugewandt.

Liz: Hört sich ja alles gut an. Aber ihr habt gesagt, dass erst mal jeder bleiben konnte, wo er gewohnt hat – die Villenbewohner also auch. Haben das die anderen einfach so akzeptiert?

Toni lacht: Jaja, da hast du schon recht – einige wollten zunächst ihre großen oder sogar riesigen Wohnflächen weiterhin alleine oder zu zweit bewohnen. Aber selbst im Spiel wurde klar: ohne Personal, ohne Haushälterinnen, Putzhilfen und Gärtner*innen hat das Ganze wenig Reiz. Es lässt sich ja leicht berechnen, wie viele Stunden nötig sind, um soundso viel Wohn- und Gartenfläche in Ordnung zu halten. Die gehen dann vom wöchentlichen Freizeitbudget ab. Und da merkt man dann: Huch, das hat ja mehr Nachteile als Vorteile. Jedenfalls haben sich bisher alle Großwohnräumler*innen entschieden, sich entweder mit anderen zusammenzutun oder in ne Wohnung zu wechseln, in der man es einfacher hat. Wird eine Villa auf diese Weise leer, wird in einer Versammlung darüber beratschlagt, wie weiter damit verfahren wird. Gibt es Wohngemeinschaftsbedarf, oder sollen zwei oder mehrere Wohnungen daraus gemacht, oder gibt es anderweitigen Bedarf? Bewerben sich mehr Parteien, als Platz ist, und kann tatsächlich einmal keine Einigung erzielt werden, kann auch schon mal das Los entscheiden.

Jonah: Aha … – und das funktioniert …?

Micha: Es ist erstaunlich, aber es hat sich auch in der Entscheidungspraxis enorm viel geändert. Aber dazu später mal mehr. Wir sind nämlich gleich da.

Die Bahn nähert sich nun einem Gebiet, in dem mehrere Werkshallen stehen. Jonah ist gespannt: wie läuft in einem Spiel die Arbeit in einer Fabrik? Und staunt nicht schlecht, als er mit ihren Guides die erste Werkhalle betritt.